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Grindel

Das Grindelviertel: Wo das Herz noch mitbedient
Reportage für Die Welt 1997
”Wir machen hier fast alles außer Geldwäsche!“ sagt Helene Frohriep in ihrem Kleiderbad, während sie mehrere Dinge zugleich erledigt; Knöpfe am Mantel eines Kunden mit Folie
umwickelt, die Nummer des nächsten auf einen Zettel notiert, charment den dritten vertröstet
”Ihre Hose ist kurz vor der Vollendung– mit Bügelfalte oder ohne?“ Einen vierten provoziert sie mit den Worten ”Eine Falte streckt und lenkt von Problemzonen ab– Männer sind schon was Kostbares, Frauen trödeln oft herum und tun des Guten nicht nur beim Make-up zu viel…“
Im Grindelviertel gibt es noch Persönlchkeiten, die über ihren Teller-bzw. Ladenrand hinausblicken. Helene Frohriep ist so eine Person. Manche nennen sie die Seele des Grindel.
In ihrem Kleiderbad werden nicht nur Flecken entfernt, sondern auch Schatten von der Seele vertrieben. Flankiert von ”Auguste, der Robusten“, einer Reinigungsmaschine, einer Hosenpresse und einer Kleiderpuppe steht Helene im Sommer und Winter ihre Frau. Etwa 80 bis 100 Menschen bedient sie am Tag. Für jeden hat die Powerfrau ein freundliches Wort übrig. Ihre Lieblingssprüche kennt man im Viertel ”Alles Liebe– all the best!“ oder ”Wünsche ein Wahn sinnswochenende, Mädäm!“
Schmutzige Wäsche waschen bedeutet für Helene, Menschen kennenzulernen.”Kaffee, Tee, Mayonaise und Senf, das macht die häufigsten Flecken“, verrät sie. ”Aber Sie glauben gar nicht, was man manchmal für Überraschungen erlebt. Da bringt mir jemand seine Knitterpantolos in Grau und verlangt hinterher eine original Bosshose in Lindgrün zurück!“
”Morgens zwischen sechs und acht Uhr kommen die Erfolgreichen“ meint Helene. ”Die sind geduscht, gepflegt und gut frisiert“. Vom Arbeiter, der sein einziges Stück bringt, über Ärzte, Anwälte, Senatoren bis hin zu Fürst und Baroneß haben ihr schon viele ihre Garderobe anvertraut. ”Manchmal könnt ich mich glatt vergucken, aber ich hab ja keen Tid“ seufzt sie lächelnd.


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